Sprinkled in the void
Melissa Canbaz
Der Laubengang an der Fassade des Neuen Kreuzberger Zentrums führt einmal quer am Gebäude entlang. Die Vielschichtigkeit lässt sich am besten erschließen, wenn man mitten drin ist, im Komplex. Aber was wirklich im Inneren passiert, weiß niemand so genau… Die willkürliche, Labyrinth-artige Verlegung der Rohre über den abgehängten Decken beispielsweise, lässt sich auf keine Logik zurückführen. Und so ist auch immer ungewiss, wer eigentlich schon wieder einen Wasserschaden verursacht hat. Manchmal fragt man sich was runterkommen könnte, wenn die schon bräunlich gefärbten, durchgeweichten Deckenplatten durchbrechen. Das marode Innenleben des NKZ ist ein Mysterium.
Steht man in der Ausstellung Sprinkled in the void, ragen vier torpedogeformte Objekte von der Decke, die sich nach unten verjüngen, als würden sie auf einen zukommen. Die glänzende Oberfläche aus Silikonschaum wirkt organisch, fast körperhaft, und will förmlich angefasst werden. Wie bei einem Stressball bleiben die Abdrücke der Finger nach dem Reindrücken noch sichtbar. Geht man einen Schritt zurück oder schaut vom Laubengang in den Raum, erkennt man den Pyramidenstumpf aus dessen Öffnung die Objekte, eingefasst in ein Acrylglaskasten, heruntergelassen werden. Es erfordert ein längeres Hochschauen, denn kurz scheint es als würde was aus der Decke wachsen und aus den Öffnungen der durchsichtigen Kiste rausquetschen. Und schon geht es wieder los und man fragt sich, was kommt dieses Mal runter?
Unheimlich lebendig, wie Innereien einer Architektur, hängen sie nun da. Dreht man die Kiste auf den Kopf, ähnelt sie einem Kanopenkasten. In diesem Behältnis wurden im alten Ägypten Krüge mit den einbalsamierten Eingeweiden der Toten aufbewahrt, die aus dem Körper herausgenommen wurden. In der Regel wurden Organe wie Lunge, Leber, Magen, und Darm in Kanopen gelegt. Das Gehirn fand keine Beachtung und wurde weggeworfen. Nur das Herz blieb im Körper. Diese Assoziation ist fast schon wieder poetisch und das Unheimliche weicht allmählich einer mystisch-rituellen Geste.
Lisa Herfeldt legt ihrer Ausstellung auch dieses Mal etwas Gedrucktes bei. In diesem Fall ein Leporello mit dem Titel Forgotten Game. Aufgeklappt ziert eine Frau in Laken gehüllt und in sich geschlossen, in Mumien-hafter Pose das Faltblatt. Auf der Innenseite eine auf dem Boden liegende Frau in Gedanken, die Arme geöffnet nach außen. Auf dem Bild tauchen noch einmal die vier Objekte von der Decke als weiße Schablonen auf. Wohlmöglich Stellvertreter für andere Organe? Zustände?
Die Installation in Sprinkled in the void ist das Tor zu einem nicht erschlossenen, komplexen System. Einer architektonischen Überwelt, die nie stillsteht. Doch eine Frage bleibt: Wo befindet sich eigentlich das Herz des NKZ?
Sprinkled in the void
Melissa Canbaz
The access balcony of the Neues Kreuzberger Zentrum runs right along the façade of the building. The intricacy of the building is best understood when one is inside the complex. But nobody really knows what’s really going on inside... The arbitrary, labyrinth-like laying of the pipes above the suspended ceilings, for example, cannot be traced back to any certain logic. So when water damage occurs, there is always an uncertainty of its origin. Sometimes one wonders what could come down when the already brownish, sodden ceiling tiles break through. The dilapidated interior of the NKZ is a mystery.
When standing in the exhibition, Sprinkled in the void, four torpedo-shaped objects protrude from the ceiling, tapering downward as if they were coming at you. The shiny surface of silicone foam seems organic, almost corporeal, and literally wants to be touched. Fingerprints remain visible on the surface after being pressed in, almost like that of a stress ball. If you take a step back and look into the room from the access balcony, you recognize the truncated pyramid from which the objects, enclosed in an acrylic case, are hanging from. It requires a longer look up, because it briefly seems as if something would grow out of the ceiling and squeeze out of the openings of the transparent box. Off it goes again, and you wonder, what’s coming down this time?
Eerily alive, like the innards of an architectural structure, they now hang there. If you turn the box upside down, it resembles a canopic chest. In ancient Egypt, this chest was used to hold jars containing the embalmed entrails of the dead, which were removed from the body. As a rule, organs such as lungs, liver, stomach, and intestines were placed in canopic jars. The brain received no attention and was thrown away. Only the heart remained in the body. This association is again almost poetic and the uncanny gradually gives way to a mystical-ritual gesture.
Lisa Herfeldt also includes printed matter for her exhibition. In this case, a leporello, with the title Forgotten Game. When opened, the leaflet is adorned with a woman wrapped in sheets and closed in on herself, in a mummy-like pose. On the inside, a woman lying on the floor, in thought, her arms open outward. Also depicted are the four objects from the ceiling, appearing as white stencils. Possibly representatives for other organs? Or different states?
The installation, Sprinkled in the void, is the gateway to an unexplored, complex system. An architectural otherworld that never stands still. But one question remains: Where is the actual heart of the NKZ?