To Grace The Plinth
Hank Schmidt in der Beek
Wenn ich sitze, will ich nicht
sitzen, wie mein Sitz-Fleisch möchte,
sondern wie mein Sitz-Geist sich,
säße er, den Stuhl sich flöchte.
Der jedoch bedarf nicht viel,
schätzt am Stuhl allein den Stil,
überläßt den Zweck des Möbels
ohne Grimm der Gier des Pöbels.
Christian Morgenstern: Der Ästhet
Auf der Fotografie, die Ezra Pound in seinem Flechtthron in Venedig sitzend zeigt, fällt es nicht schwer, durch den Sitz-Blick des Dichters hindurch zu seinem Sitz-Geist vor zu dringen, und dort wiederum wird augenscheinlich klar, dass Ezra Pound keine anderen als die oben zitierten acht Zeilen seines deutschen Dichterkollegen Christian Morgenstern im Sinn hatte, als der Fotograf auf den Auslöser drückte.
Freilich, möglich ist es, dass ich mich irre - zumal, wer durch eine bebilderte Ezra Pound-Biographie blättert, schnell feststellen wird, dass der eigentlich immer - auch stehend - denselben Sitz-Blick im Gesichte trägt.
Nun ist aber Ezra Pound nicht der einzige Gewährsmann für die These der unbedingten Verbindung zwischen Christian Morgensterns Gedicht und dem rattanen Pfauenstuhl, sondern es sind dies hunderte wenn nicht tausende, und dank Lisa Herfeldts profilierter Recherche und ihrem beharrlichen Sammeleifer liegt uns in Form ihres Bildessays To grace the plinth eine aussagekräftige Auswahl davon vor.
Unter den Gewährsmännern stilprägende Musiker wie Marc Bolan, Diana Ross, Robert Plant (Led Zeppelin) oder Dolly Parton, New Wave Punks wie der Bid von The Monochrome Set, Hollywoodsterne wie Bette Davis und Charlie Chaplin, politische Kämpfer wie Bobby Seale (Black Panthers), Sänger und Prediger wie Al Green, die US-First-Lady Michelle Obama, Spaßmacher wie Rudi Carrell (Am laufenden Band), Schönheiten wie Brigitte Bardot und Julio Iglesias, einige Seelen, die wir nicht namentlich zuordnen können und eine ganze Menge nackter und halbnackter Weiber. Ebenso vielfältig auch die Sitzhaltungen: hier wird (wie es vermutlich die Königlichen Südostasiens einmal taten) aufrecht und entschieden gethront, da gelümmelt und geflegelt und dort sogar kolossal unsittlich in den Rattan gestiegen.
Doch so bunt das Spektrum der auf dem sogenannten Peacock Chair Porträtierten ist, und so weitscheckig auch ihre Posituren sind, so lässt doch jede einzelne der Fotografien jenen ganz speziellen Sitz-Geist durchblicken, der sich nämlich den Thron genau so und nicht anders flöchte - wie auch immer das Sitz-Fleisch sich eingerichtet hat.
Ob tatsächlich jeder der im Pfauenthron Sitzenden dabei die Morgenstern'schen Zeilen im Sitz-Sinn hatte, kann ich natürlich nicht hundertprozentig sagen, bei einem aber wohl: nämlich bei mir.
Kaum hatte mich Lisa in Djangos Kreuzberger Fotostudio geschleppt und mich auf einen ihrer drei Throne platziert, gab es für mich nicht mehr den geringsten Zweifel, dass Christian Morgenstern ebenfalls in genau einem solchenen Flechtsessel saß, als er das Gedicht vom Sitz-Geist schrieb.
In dieser Gewissheit wurde ich vor ein paar Tagen sogar noch bestärkt, und zwar dadurch, dass - als ich mich nach einem langatmigen DJ-Job im Möble Olfe, bis zur Abfahrt in den Urlaub nach Schweden, noch zwei Stündchen in Lisas Atelier auf's Ohr gehauen hab - mir zum Einschlafen ihre dort gelagerten Rattanthröne höchstpersönlich von Christian Morgensterns Verbindung zum Wicker Chair erzählten, indem sie mir zu dritt mit Knisterwort und Flüsterwort eines seiner schönsten Gedichte vortrugen, nämlich:
Der Korbstuhl
Was ich am Tage stumm gedacht
vertraut er eifrig an der Nacht.
Mit Knisterwort und Flüsterwort
erzählt er mein Geheimnis fort.
Dann schweigt er wieder lang und lauscht -
indes die Nacht gespenstisch rauscht.
Bis ihn der Bock von neuem stößt
und sich sein Krampf in Krachen löst.
Christian Morgenstern: Der Korbstuhl
english version coming soon